Laut einer Studie aus dem Jahre 2018 sind etwa 1,2 Millionen aller Arbeitsverhältnisse in Deutschland potentiell scheinselbständig, das sind etwa 28 % aller Selbstständigen in Deutschland. Scheinselbstständigkeit ist die Beschäftigung von Arbeitnehmern als freien Mitarbeitern, die jedoch tatsächlich scheinselbstständig sind, kann sowohl für Arbeitgeber als auch Arbeitnehmer erhebliche Konsequenzen nach sich ziehen.
Auf Arbeitgeberseite haftet dieser rückwirkend für alle Sozialversicherungsbeiträge (Arbeitgeber- und Arbeitnehmeranteile und Säumniszuschläge) sowie für die abzuführende Lohnsteuer, zusätzlich müssen sämtliche arbeitsrechtlichen Schutzgesetze wie etwa das EFZG (Fortzahlung im Krankheitsfall), das KSchG (Kündigungen) oder das BUrlG (Anspruch auf Erholungsurlaub) beachtet werden.
Daneben drohen bei Scheinselbstständigkeit auch strafrechtliche Konsequenzen, § 266a StGB. Der Arbeitnehmer sieht sich demgegenüber unter Umständen erheblichen Rückforderungansprüchen ausgesetzt.
Dieser Artikel soll Ihnen eine erste Anleitung an die Hand geben, wie Sie Scheinselbstständigkeit erkennen und vermeiden können.
Bitte beachten Sie: Der Artikel ersetzt keine anwaltliche Beratung der Rechtsanwälte Aichach. Er dient nur der ersten Orientierung und ist daher stark verallgemeinernd. Ob jemand scheinselbstständig ist oder nicht, ist immer eine Frage des Einzelfalls. Gerne beraten die Rechtsanwälte Aichach Sie persönlich und unter Berücksichtigung Ihrer konkreten Situation. Vereinbaren Sie hierzu einfach einen Termin in unserer Rechtsanwaltskanzlei Aichach, gerne beraten wir sie aber auch telefonisch.
Was ist Scheinselbständigkeit?
Eine Definition für den Begriff Scheinselbstständigkeit existiert nicht. Es handelt sich um keinen feststehenden Terminus. Letztlich geht es bei der Bezeichnung „Scheinselbstständigkeit“ um eine Abgrenzung zwischen angestellter Tätigkeit einerseits und Selbstständigkeit andererseits.
Die Bezeichnung im Arbeitsvertrag oder sonstigen Verträgen ist dabei irrelevant, es kommt insoweit nur auf die tatsächliche Durchführung des Vertrags an.
Die Selbstständigkeit wird im Arbeitsrecht, Sozialversicherungsrecht und im Steuerrecht anhand unterschiedlichen Kriterien festgestellt. Im Arbeitsrecht kommt es für die Abgrenzung des Arbeitnehmers vom Selbstständigen vor allem auf das Kriterium der persönlichen Abhängigkeit.
Hierbei muss eine wertende Gesamtschau aus den unterschiedlichen Einzelkriterien erfolgen, um eine entsprechende Unterscheidung durchführen zu können. Im Sozialversicherungsrecht geht zwar es um den Begriff der Beschäftigung.
Ähnlich wie im Arbeitsrecht ist aber auch hier die persönliche Abhängigkeit das entscheidende Kriterium, wenn es um das Vorliegen einer Beschäftigung i.S.d. § 7 SGB IV geht. Und ähnlich wie im Arbeitsrecht wird auch dieses aus einer Gesamtschau von unterschiedlichen Einzelkriterien gewonnen.
Kriterien zur Bestimmung der persönlichen Abhängigkeit sind unter anderem:
- Kontrolle
Je mehr ein Mitarbeiter an Ordnungsregeln gebunden ist und auch kontrolliert und ggf. sogar sanktioniert wird, desto mehr spricht dies für eine persönliche Abhängigkeit des Mitarbeiters.
- Weisungsgebundenheit
Bei diesem Kriterium geht es darum, wieviel Vorgaben ein Auftraggeber seinem Selbstständigen macht und ob sich dieser auch daran halten muss. Grundsätzlich müssen Mitarbeiter den Weisungen des Arbeitgebers nachkommen, Selbstständige dagegen entscheiden frei, wann und wo sie arbeiten möchten.
- Fremdbestimmtheit
Ein Selbstständiger muss seine Arbeit frei gestalten können und ist daher in der Regel nicht fest in die Betriebsabläufe eines Unternehmens eingebunden. Anders als Angestellte müssen sie auch etwa betriebliche Einrichtungen wie Computer oder Besprechungszimmer nicht nutzen.
- Unternehmerisches Auftreten
Hat der Mitarbeiter eigene Gestaltungsmöglichkeiten für sein Auftreten am Markt (Homepage, Visitenkarten)? Ein Freiberufler darf darüber hinaus eigene Angebote erstellen oder seine Preise frei gestalten.
Warum ist Scheinselbstständigkeit problematisch?
Während Selbstständige nicht verpflichtet sind, Kranken-, Arbeitslosen-, Pflege-, Sozial- und Rentenversicherungsbeiträge abzuführen, müssen Arbeitnehmer diese durch entsprechende Beiträge finanzieren. Jemand, der als Scheinselbstständiger wie ein Arbeitnehmer arbeitet, hebelt damit unser Sozialversicherungssystem aus.
Zum anderen werden durch die Scheinselbständigkeit dem Mitarbeiter wichtige Arbeitnehmerrechte wie etwa den Kündigungsschutz vorenthalten.
Scheinselbstständigkeit wird oft aufgedeckt!
Es sind verschiedene Szenarien möglich, die zu einer Aufdeckung der Scheinselbstständigkeit und den oben beschriebenen Konsequenzen führen können.
So prüft etwa die Deutsche Rentenversicherung mindestens alle vier Jahre, ob die vom Arbeitgeber abgeführten Sozialversicherungsbeiträge korrekt berechnet und abgeführt sind. Bei dieser Betriebsprüfung durch die Rentenversicherungen werden insbesondere Arbeitsverträge und Entgeltunterlagen durchgesehen.
Auch ist denkbar, dass ein freier Mitarbeiter seinen Auftraggeber auf Festanstellung verklagt, im Rahmen des Arbeitsgerichtsprozesses wird die Scheinselbstständigkeit entdeckt. Daneben ist auch ein vom Arbeitnehmer initiiertes Statusfeststellungsverfahren denkbar.
Die Wahrscheinlichkeit, dass eine Scheinselbstständigkeit längerfristig unentdeckt bleibt, ist daher eher gering.
Nachzahlungen trotz Unwissenheit!
Im Allgemeinen treffen den Unternehmer gewissen Sorgfaltspflichten. Dazu gehört auch, alle Mitarbeiter ordnungsgemäß anzumelden und sich über eine Scheinselbstständigkeit zu informieren. Daher kann dem Auftraggeber zumindest ein fahrlässiges Verhalten vorgeworfen werden. Sofern man also darauf hofft, mit Unwissenheit einer möglichen Strafe zu entgehen, so hofft man vergebens.
Sofern Sie als Arbeitgeber beabsichtigen, einen Freiberufler einzustellen, sollten Sie sich vorab an die Rechtsanwälte Aichach wenden. Alternativ können Sie von der Clearingstelle der Deutschen Rentenversicherung Bund (DRV) ein kostenloses Statusverfahren (auch: Anfrageverfahren) durchführen lassen.
Sollte der Mitarbeiter jedoch bereits eingestellt sein, so ist der Gang zum Anwalt auch jeden Fall empfehlenswert. Gemeinsam wird dann eine Strategie entwickelt, wie in dem Fall weiter vorgegangen werden kann.
Checkliste: Sind Ihre Mitarbeiter scheinselbstständig?
Mit der nachstehenden Checkliste können Sie anhand einfacher Kriterien herausfinden, ob womöglich eine scheinselbstständige Tätigkeit vorliegt. Je mehr der nachfolgenden Fragen Sie mit „Ja“ beantworten, desto mehr deutet auf eine scheinselbstständige Beschäftigung Ihres freien Mitarbeiters hin
- persönliche Leistungserbringung
- Muss sich der Mitarbeiter persönlich um ein Projekt kümmern?
- Arbeitet Ihr Mitarbeiter an unbefristeten Projekten?
- Freiheit bei der Annahme von Aufträgen
- Verlangen Sie von Ihrem Mitarbeiter, Aufträge abzulehnen oder anzunehmen?
- Verbieten Sie ihrem Mitarbeiter, selbst Kundenaquise zu betreiben?
- Weisungsabhängigkeit
- Ist dem Mitarbeiter vorgegeben, wann und wo er arbeiten muss?
- Ist der Mitarbeiter verpflichtet, seinen Urlaub vorher mit Ihnen abzusprechen?
- Muss Ihr Mitarbeiter an bestimmten Veranstaltungen (Schulungen, Betriebsausflügen, oÄ.) teilnehmen?
- Eingliederung in die betriebliche Organisation
- Ist Ihr Mitarbeiter in Ihre Firmenstruktur eingebunden? Nimmt der Mitarbeiter regelmäßig an Briefings und Absprachen teil?
- Nutzt Ihr Mitarbeiter die betrieblichen Einrichtungen (Arbeitsräume, Betriebsmittel wie etwa Computer oder Fahrzeuge) Ihres Unternehmens? Ist er hierzu vertraglich sogar verpflichtet?
- Sind Software und Hardware für die Arbeit des Mitarbeiters vorgegeben? Ist dies arbeitsvertraglich vorgegeben?
- Sind Ihrem Arbeitnehmer bestimmte Arbeitsräume in den Räumen Ihres Unternehmens zugewiesen?
- Kontrolle
- Verlangen Sie von Ihrem freien Mitarbeiter detaillierte und regelmäßige Auskünfte über dessen Zeiteinteilung?
- Überprüfen Sie in kurzen Abständen die Arbeit Ihres Mitarbeiters?
- Gehalt
- Verdient der freie Mitarbeiter mehr als 80 Prozent seines Jahresgehalts bei nur einem Auftraggeber?
- Erhält der freie Mitarbeiter unabhängig von einer Leistung ein monatliches Arbeitsentgelt?
- Bezahlen Sie Ihren Mitarbeiter im Krankheitsfall sein Gehalt weiter (ähnlich wie bei einem Angestellten)?
- Gibt es eine Urlaubsvergütung für Ihren freien Mitarbeiter?
- Unternehmerisches Auftreten am Markt
- Hat Ihr Mitarbeiter keine eigene Website oder eine andere Form eines Unternehmensauftritt?
- Besitzt Ihr Mitarbeiter keine eigene unternehmerische Struktur (etwa eigene Büroräume, eigene Werkzeuge/Maschinen)?
- Verwendet ihr Mitarbeiter die Visitenkarten Ihrer Firma?
Erstellt: von Rechtsanwalt Marc Sturm und Rechtsanwalt Christian Geßler, Anwaltskanzlei Sturm, Dr. Körner & Partner aus Aichach
Weitere aktuelle Artikel finden Sie hier:
Verkehrsordnungswidrigkeit: Keine Winterreifen?