Hinterbliebenengeld gem. § 844 Abs. 3 BGB für ein ungeborenes Kind? Wir meinen: Ja!
In einem bundesweit beachteten Fall haben wir eine dreijährige Klägerin vertreten, die von der württembergischen Versicherung ein sogenanntes Hinterbliebenengeld gemäß § 844 Abs. 3 BGB geltend gemacht hat und darüber hinaus die Erstattung von Kosten im Zusammenhang mit einer Nachlasspflegschaft, die vom Nachlassgericht angeordnet wurde, fordert.
Zum Sachverhalt:
Im November 2017 verursachte der Versicherungsnehmer der beklagten Partei (Württembergische Versicherung AG) auf der BAB 8 auf Höhe der Anschlussstelle Leipheim einen Geisterfahrerunfall, bei dem der Vater der Klägerin tödlich verletzt wurde. Die Klägerin war zum Zeitpunkt des Unfalls noch nicht geboren.
Die Klägerin kam rund vier Monate später auf die Welt. Aufgrund von im Zusammenhang mit dem Verkehrsunfall sichergestellten Genmaterials konnte die Vaterschaft des Getöteten eindeutig festgestellt werden. Leider war eine gerichtliche Vaterschaftsfeststellung erforderlich.
Die heute dreijährige Klägerin bildet mit ihren zwei minderjährigen Halbbrüdern im Grundschulalter eine Erbengemeinschaft.
Die im Verfahren beklagte Kfz-Haftpflichtversicherung des Unfallverursachers (Württembergische Versicherung AG) hat ihre Eintrittspflicht für den Schaden dem Grunde nach anerkannt, nachdem ein unfallanalytisches Gutachten den Vorsatz des Unfallverursachers nicht bestätigen konnte. Das Zugeständnis der vollen Eintrittspflicht ist der beklagten Kfz-Haftpflichtversicherung durchaus hoch anzurechnen.
In einem erstinstanzlichen Verfahren vor dem Landgericht Memmingen (Az.: 35 O 1590/19) wurde die beklagte Versicherung dazu verurteilt, die Kosten für die Nachlasspflegschaft in Höhe von rund 21.000 € zu erstatten. Der Anspruch der Klägerin auf Hinterbliebenengeld wurde hingegen zurückgewiesen.
Sowohl die beklagte Versicherung als auch die dreijährige Klägerin legten gegen das Urteil des Landgerichts Memmingen Berufung ein.
Die Regelung im Gesetz:
Die für das Hinterbliebenengeld maßgebliche Vorschrift in § 844 BGB Abs. 3 lautet wie folgt:
„Der Ersatzpflichtige hat dem Hinterbliebenen, der zur Zeit der Verletzung zu dem Getöteten in einem besonderen persönlichen Näheverhältnis stand, für das dem Hinterbliebenen zugefügte seelische Leid eine angemessene Entschädigung in Geld zu leisten. Ein besonderes persönliches Näheverhältnis wird vermutet, wenn der Hinterbliebene der Ehegatte, der Lebenspartner, ein Elternteil oder ein Kind des Getöteten war.“
Die Gründe des Landgerichts Memmingen.
Das Landgericht Memmingen sprach der Klägerin in der ersten Instanz ab, überhaupt zum Anspruchsberechtigten Personenkreis zu zählen. Insbesondere hätte sie kein besonderes persönliches Näheverhältnis zu ihrem vor ihrer Geburt getöteten Vater entwickelt.
Hiergegen wandte sich unsere Berufung mit großer Vehemenz.
Anfechtungsgründe in der Berufungsinstanz.
Wir haben dahingehend argumentiert, dass auch der Nasciturs ein Kind im Sinne der Vorschrift ist. Hierfür spricht insbesondere die Rechtssystematik, die seelisches Leid wegen der Tötung eines besonders nahen stehenden Menschen entschädigen soll. Das noch nicht geborene Kind kann bereits Träger von Rechten sein. Dies ist jedoch aufschiebend bedingt durch die Vollendung der Geburt gemäß § 1 BGB.
Weiter haben wir dahingehend argumentiert, dass der Bundesgesetzgeber im Rahmen der Diskussion zu der entsprechenden Normsetzung vor allem das Thema der Einzelfallgerechtigkeit in den Vordergrund geschoben hat, vgl. Bt.-Drs. 18/11615.
Ferner spreche für die Klägerin die gesetzliche Vermutung eines besonderen persönlichen Näheverhältnis nach der Norm im BGB. Zwar habe das Landgericht Memmingen der Klägerin als noch nicht geborenes Kind zugesprochen, bereits Hirntätigkeit entfaltet zu haben und durchaus auch Wahrnehmungen innerhalb des Mutterleibes zu verspüren.
Gleichzeitig sprach das Landgericht Memmingen jedoch der Klägerin eine Interaktion der Sozialsphäre ab. Hiergegen haben wir unsererseits argumentiert, dass die Klägerin als noch nicht geborenes Kind für sich ein von gegenseitiger Rücksichtnahme geprägtes Verhältnis in Anspruch genommen hat. Auch das ungeborene Kind ist bereits Familienmitglied, da die künftige Familien-Situation auf das noch nicht geborene Familienmitglied hin ausgelegt wird.
Darüber hinaus haben wir dahingehend argumentiert, dass die einschlägige Norm im BGB grundrechtskonform auszulegen ist. Würde man dem lastsitu Russ einen Anspruch auf Hinterbliebenengeld absprechen, könnte man nur sehr schwer immens Kranken, schwer geistig Behinderten, Kleinkindern und Säuglingen nur mit größter Schwierigkeit überhaupt dem Grunde nach einen Anspruch auf Hinterbliebenengeld zu sprechen.
Es ist mit dem Grundgesetz nicht vereinbar, dass die schwächsten Mitglieder in der Gesellschaft vom Anspruch auf unterbliebenen Geld ausgeschlossen sein sollen.
Wenn auf den vorgenannten Gründen die gesetzliche Vermutung eines besonderen persönlichen Näheverhältnisses für die dreijährige Klägerin spricht, dann muss gemäß § 292 ZPO die beklagte Versicherung den Vollbeweis des Gegenteils erbringen. Einen entsprechenden Tatsachenvortrag habe allerdings die beklagte Versicherung im Prozess nicht geliefert.
Soweit die beklagte Versicherung sich gegen die Erstattung der Kosten für die Nachlasspflegschaft wendet, haben wir unsererseits argumentiert, dass diese Kosten nicht für die Nachlassregelung sind. Vielmehr geht es um Kosten der Nachlasssicherung, weil der vom Versicherungsnehmer der beklagten Partei Getötete einen nasssitu Russ und zwei weitere minderjährige Kinder sowie mehrere handelsrechtliche Gesellschaften hinterlassen hat.
Das OLG München, Zivilsenate Augsburg entscheidet.
Eine Entscheidung des Oberlandesgerichts München ist für den 5. August 2021 angekündigt. Das Aktenzeichen des Verfahrens lautet 24 U 5354/20. Über die Entscheidung halten wir Sie in unserem Blog auf dem Laufenden.
Zahlreiche Presseveröffentlichungen.
Sehen Sie auch die Veröffentlichungen in der Presse, etwa:
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